Liebe Freundinnen und Freunde
Liebe Unterstützende und Interessierte
Die Sommersession der eidgenössischen Räte war wie immer: dichte und lange Tage, vielfältige Themen und enorm arbeitsintensiv. Die «grossen», öffentlichkeitswirksamen Diskussionen haben Sie aus den Medien mitbekommen. Das ist aber nur die Spitze des Eisberges der Parlamentsarbeit. Gerne berichte ich über ein paar andere Entscheidungen und Aktivitäten, die aus meiner Sicht in dieser Session bedeutsam waren.
Leider keine Mehrheit fand mein Vorstoss, der es allen Gemeinden ermöglichen sollte, das Stimm- und Wahlrecht auch EinwohnerInnen zu gewähren, die kein Schweizer Bürgerrecht haben, aber seit mindestens fünf Jahren in der Gemeinde leben. Mein Vorstoss wurde mit nur 63 Ja gegenüber 110 Nein ziemlich eindeutig abgeleht.
Das ist enttäuschend. Aber wir wissen aus der Geschichte, dass der Ausbau der politischen Rechte in einer direkten Demokratie ein steiniger, langer Weg ist. Ich bin überzeugt, dass wir trotz dieser Neiderlage wir auf gutem Weg sind. Schon heute haben wir sieben Kantone, die diese Möglichkeit mindestens auf Gemeindeebene anbieten. Im Kanton Neuenburg beispielsweise gibt es dieses Recht seit 1849. Insgesamt gewähren in der Schweiz inzwischen 605 Gemeinden ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern ohne Schweizer Pass das Stimm- und Wahlrecht. Von Problemen habe ich bis jetzt nichts gehört, ganz im Gegenteil: Es ist ein wichtiger Beitrag zu einer gelungenen Integration. Ich bin überzeugt, dass in den nächsten Jahren von den anderen 1590 Gemeinden noch so einige diesen Schritt ebenfalls machen werden.
Eine grosse Freude war für mich, dass der Nationalrat meinem Vorstoss zugestimmt hat und die kostenlose berufliche Standortbestimmung weitergeführt wird! Ich habe beantragt, dass der Bund das bis 2024 befristete Projekt «Viamia» weiterführt. Damit werden die Kantone bei der Entwicklung und Umsetzung einer kostenlosen beruflichen Standortbestimmung für Personen über 40 Jahre unterstützt. Es freut mich sehr, dass nun in der Schweiz die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung weiter verstärkt wird. Denn in allen Altersklassen und Wirtschaftsbereichen steigt der Bedarf an beruflicher Neuorientierung stark – nicht nur wegen der rasanten Dynamik in der digitalen Transformation.
Mit einem Einzelantrag versuchte Andras Glarner (SVP) das Geschäft noch zu kippen, aber die Abstimmung war eindeutig, 129 NationalrätInnen stimmten zu, 48 lehnten ab. Dieser Erfolg freut mich umso mehr, als dass er gegen den Willen des Bundesrates zu Stande kam.
Sehr wichtig war für mich, dass der Nationalrat mit grossem Mehr der erneuten Verlängerung der Bundesbeiträge an die familienergänzende Kinderbetreuung zugestimmt hat – einzig die SVP-Fraktion war dagegen. Aber fast noch wichtiger ist, dass «meine» Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur unterdessen daran ist, die jeweils befristete und mittlerweile mehrfach verlängerte Anstossfinanzierung in eine stetige Unterstützung zu überführen. Damit soll der Bund eine Vergünstigung der Elternbeiträge und eine nachhaltige Verbesserung der frühkindlichen Bildung bewirken. So funktioniert Politik: Es geht in kleinen Schritt vorwärts, Stück für Stück.
Für hoch qualifizierte Immigrierte ist der Zugang zum Studium an einer Schweizer Hochschule nicht leicht. Sprachkurse und Nachqualifikationen sind notwendig, damit unser Land von diesem Fachkräftepotential profitieren kann. Deshalb bieten einige Hochschulen mit einigem Erfolg solche Programme an. Mit einer Motion möchte ich erreichen, dass der Bund diesen Programmen eine gesamtschweizerische hochschulpolitische Bedeutung zuspricht und sie mitfinanziert.
Dies ist kein neues Anliegen, denn der Bund finanzierte ab 1962 alleine und von 1988 bis 2011 zusammen mit den Hochschulkantonen «Vorbereitungskurse auf das Hochschulstudium in der Schweiz» (VKHS). Deren Abschaffung hat sich nicht bewährt und ich fordere, dass sich der Bund in dieser Sache wieder engagiert.
Mit einem neu eingereichten Postulat verlange ich für Jugendliche eine Ausbildungspflicht bis 18 und eine Ausbildungsgarantie bis 25. Damit will ich erreichen, dass wir dem Ziel von Bund und Kantone endlich etwas näherkomme, dass in der Schweiz 95% aller 25-Jährigen über einen Abschluss auf der Sekundarstufe II verfügen.
Laut Bundesamt für Statistik hatten nur 91.4% der Jugendlichen, die 2020 25 Jahre alt waren, einen Abschluss auf Sekundarstufe II erlangt. Im Kanton Basel-Stadt ist diese Zahl noch niedriger, hier sind es gerade rund 85 Prozent der Jugendlichen. Die Instrumente «Ausbildungspflicht bis 18» haben sich sowohl in den Kantonen Genf und Tessin wie auch in Österreich, Holland und Frankreich gut bewährt. Die Ausbildungspflicht bis 25 hat in Österreich eine sehr erfreuliche Wirkung erzielt.
Hochkarätige Bildung und Forschung ist existenziell auf internationale Zusammenarbeit angewiesen. Der Abbruch der Verhandlungen mit der EU führt für den Forschungsstandort Schweiz zu gravierenden Problemen. Die Schweiz muss deshalb unbedingt versuchen, mehr internationale Kooperationen im Bereich von Wissenschaft und Technologie zu erreichen. In einer diese Woche eingereichten Motion rege ich an, die Zusammenarbeit mit Taiwan auf dem Gebiet von Wissenschaft, Technologie, Innovation und Kultur zu festigen und zu vertiefen.
Dieses Anliegen steht im Kontext der aktuellen politischen Verwerfungen auf globaler Ebene. Im Vergleich zu den Beziehungen zu chinesischen Institutionen auf dem Festland ist die Zusammenarbeit mit Taiwan noch unterentwickelt. Ich bin überzeugt, dass auch «Wissenschaftsdiplomatie» einen Beitrag leisten kann, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen.
Nun bleibt mein Arbeitspensum bis in den Juli hinein noch streng, danach hoffe ich aber, ein paar ruhige Sommertage geniessen zu können. Ich wünsche Ihnen allen eine erholsame und entspannte Sommerzeit.
Herzliche Grüsse
Mustafa Atici
Newsletter zum 17. Juni 2022