1. Mai 2023:
Liebe Freundinnen und Freunde
Liebe Unterstützende und Interessierte
Ich werde dieses Jahr keine offizielle 1. Mai-Rede halten. Trotzdem möchte ich mich auch dieses Jahr zu diesem wichtigen Feiertag äussern. Der Tag der Arbeit ist für uns Linke der Tag, an dem wir traditionellerweise unsere Werte hochhalten, an dem wir die Solidarität feiern und uns gemeinsam für die kommenden Herausforderungen stärken.
Am 1. Mai 2023 stehen wir einer Welt gegenüber, die immer mehr von Unsicherheit geprägt ist:
Das ist die offensichtliche Spitze eines Eisbergs, der aber auch in der Schweiz viel grösser ist. Die Sicherheit der Altersversorgung nimmt laufend ab, die Risiken eines Jobverlustes nehmen zu und der rasante gesellschaftliche und technologische Wandel verunsichert. Die urmenschlichen Bedürfnisse nach Sicherheit können immer weniger befriedigt werden. Und nimmt die Stabilität ab, leiden darunter die Schwächeren viel stärker als die Stärkeren.
Deshalb muss sich unser sozialdemokratisches Engagement stärker darauf ausrichten, dass wir den Menschen in diesem Land – gerade denen, denen es nicht so gut geht – wieder mehr Sicherheit und Stabilität geben können. Bürgerliche Politik reduziert das Grundbedürfnis der Menschen nach Sicherheit gerne auf die polizeiliche oder militärische Ebene – was ein fahrlässiger Unsinn ist. Aus meiner Sicht ist dafür ein ganzheitlicher Ansatz notwendig, der alle Politikfelder betrifft.
Meinen persönlichen Beitrag für mehr Sicherheit sehe ich vor allem in der Arbeitswelt und darin, dass möglichst viele Menschen im Land ihre Existenzsicherung aus eigenen Kräften bestreiten können. Um einen einigermassen sicheren Job zu bekommen, braucht es heute eine Qualifikation. Durch mehr Digitalisierung erhöhen sich die Anforderungen an alle Arbeitnehmenden laufend. Deshalb sollten wir in allen Bereichen mehr Bildung und Weiterbildung ermöglichen. Eine gute Bildung erhöht die Chancen, dass sich die Menschen vielseitig entwickeln können, dass sie Zugang zu einem Beruf bekommen, dass sie gesund bleiben und ihr Leben ohne Angst und in Zufriedenheit gestalten können. Ein glückliches Leben verdienen alle, davon dürfen wir niemanden ausschliessen.
Der ausgeprägte Fachkräftemangel hat viel damit zu tun, dass wir immer noch viel zu viele Menschen zurücklassen, die in unserem Lande leben und dennoch keinen Zugang zu einer weiterführenden Bildung haben:
Wir dürfen uns nicht weiterhin ein Bildungssystem leisten, das sich allein an den Leistungsfähigsten ausrichtet. Mein bescheidener Beitrag, den ich als Nationalrat leisten kann, ist es, hier hartnäckig an Verbesserungen zu arbeiten. Denn ich bin überzeugt, dass eine soziale und gerechte Politik möglichst vielen Menschen ein stabiles Leben in Sicherheit ermöglichen sollte. Und der gerechte Zugang zu Bildung ist ein wichtiger Schlüssel dazu.
Wenn ich heute die Sicherheit der Menschen ins Zentrum rücke, schliesst das für mich mit ein, dass Sicherheit nie auf Kosten der Freiheit oder gar der Würde des Individuums gehen darf. Gut, dass wir im Rahmen unserer demokratischen Institutionen immer um Lösungen ringen müssen, die auch widersprüchliche Interessen integrieren und letztlich breit getragen werden. Gute Lösungen, die möglichst niemanden zurücklassen, brauchen neben dem politischen Willen aber viel Sorgfalt und Fingerspitzengefühl. Das bedeutet, dass es keine einfachen und schnellen Lösungen gibt – wie uns das die demagogischen und populistischen Stimmen gerne vorgaukeln. Ihre einfache und «sichere» Lösung läuft auf Totalitarismus und auf Gewalt hinaus – und das bekämpfen wir auf das entschiedenste – unter welcher Flagge der Totalitarismus auch immer daher kommt.
Und nur nebenbei: Bildung ist auch die schärfste Waffe, um der zugegeben starken Verführungskraft der Totalitarismen zu begegnen.
Es lebe der 1. Mai, Yasasin bir Mayis, Biji Yek Gulan